Stolpersteine sind mit Namen und biografischen Daten versehene Messingtafeln, die vor dem letzten selbstgewählten Wohnort von Opfern des Nationalsozialismus verlegt werden. In zehn Ländern Europas finden sich diese Gedenksteine nach einer Idee von Gunter Demnig. Über 34.000 Stolpersteine wurden bereits in Straßen und Gehsteigen eingelassen um die Erinnerung an die Menschen, die dort wohnten, wach und lebendig zu halten. In Karlsruhe wurden bereits über 250 dieser Steine verlegt. Die „Hörstolpersteine“ fügen diesem „größten dezentralen Denkmal der Welt“ (arte) eine akustische Dimension hinzu: 2012 produzierten sechs Freie Radios in Deutschland und Österreich 60 Kurzsendungen, die das Leben der Menschen, die zu Opfern wurden, für das Radio aufbereiten. Ähnlich den Stolpersteinen auf der Straße tauchen Kurzbiographien unverhofft in den Radioprogrammen auf und sollen irritieren, aufmerksam machen und die Geschichten der Opfer bewahren. Auch das freie Radio Querfunk Karlsruhe hat sich daran beteiligt und in einstündigen Sendungen die Lebensgeschichte von Karlsruher NS-Opfern aufbereitet. Dazu haben uns Martin Guss und Sebastian König vom Querfunk unsere Fragen beantwortet.
Wieso habt ihr beschlossen, das Projekt „Hörstolpersteine“ zu starten?
Als wir mitbekommen haben, dass – neben dem SWR – andere freie Radios in Deutschland und Österreich bereits Hörstolpersteine aufgenommen und ausgestrahlt hatten, wollten auch wir als geschichtsbewusste Karlsruher einen Beitrag zur örtlichen Erinnerungskultur leisten. Das war 2014. Seitdem haben wir es geschafft, jedes Jahr mehrere Sendungen mit neuen Hörstolpersteinen zu produzieren.
Wie laufen diese Sendungen ab?
Vorab muss gesagt werden, dass die Sendungen nicht live sind, sie werden von uns vorproduziert. Die Arbeit fängt damit an, dass wir nach Personen suchen, deren Biografie online verfügbar ist. So hat uns das Stadtarchiv Karlsruhe freundlicherweise erlaubt, die im „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“ bisher erschienenen Lebensgeschichten zu verwenden. Auch Wikipedia und das Stadtwiki Karlsruhe erwiesen sich als gute Quellen. Die Texte müssen dann aber zuerst noch bearbeitet werden, um sie sozusagen radiotauglich zu machen. Dann spricht jeder von uns die von ihm redigierten Biografien ein und die fertigen Hörstolpersteine setzen wir dann zu einstündigen Sendungen zusammen. Zwischen den einzelnen Beiträgen läuft thematisch passende Musik, z.B. vom Soundtrack des Films „Schindlers Liste“. Dadurch soll den Hörerinnen und Hörern der nötige Raum zum Innehalten und Verarbeiten gelassen werden. Denn so normal, erfolgreich oder auch amüsant das Leben der vorgestellten Menschen oft verlaufen sein mag – das Ende ist stets traurig und tragisch.
Wie habt ihr euch darauf vorbereitet?
Als wir mit dem Projekt begannen, waren wir vorab beim Stadtarchiv Karlsruhe zu Gast. Der für das „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“ verantwortliche Mitarbeiter konnte uns auch Hinweise zu anderen, nicht-jüdischen NS-Opfern geben. Da das Gedenkbuch wie gesagt online verfügbar ist und z.B. auch Parteien die Biografien ihrer verfolgten Mitglieder im Internet veröffentlicht haben, läuft die Recherche ausschließlich online ab.
Was war die größte Herausforderung an diesem Projekt?
Als „Herausforderung“ würden wir das Projekt gar nicht bezeichnen. Da wir beide ansonsten aber hauptsächlich Musiksendungen moderieren, war so ein ernstes Thema doch quasi Neuland für uns. Entsprechend bestand die größte Schwierigkeit vielleicht darin, beim Einlesen der Biografien immer den richtigen Ton für die richtige Situation zu treffen.
Gab es unter den Schicksalen, mit denen ihr euch beschäftigt habt, ein paar Geschichten, die euch besonders bewegt haben?
Ganz ehrlich: Uns hat jede einzelne Geschichte bewegt. Denn hinter jedem Stolperstein steckt ein ganz normaler Mensch, der aus niedersten Beweggründen ermordet oder in den Suizid getrieben wurde. Nach über 50 Hörstolpersteinen erinnern wir uns nicht mehr spontan an jeden Namen aber einige sind doch haften geblieben. Da wäre z.B. Julius Hirsch, der uns als Fußballfans natürlich im Gedächtnis geblieben ist. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er zweimal Deutscher Meister und bestritt auch ein paar Länderspiele. Wie viele um das „Vaterland“ verdiente Juden wog er sich so lange in Sicherheit bis eine Flucht nicht mehr möglich war. Er wurde wahrscheinlich in Auschwitz ermordet. Oder der jüdische Anwalt, erklärte NS-Gegner und SPD-Politiker Ludwig Marum, den die Nazis direkt nach der „Machtübertragung“ im KZ Kislau umbrachten (und den Mord danach auch noch als Selbstmord darstellten). Oder der ebenfalls für die SPD tätige Georg Reinbold, welcher versuchte, den Widerstand aus dem Ausland zu organisieren und der schließlich – von den Jahren der Verfolgung völlig erschöpft – in den USA starb. Oder auch das jüdische Mädchen Anne-Rose Wolf, das sein halbes Leben den Anfeindungen der Diktatur ausgesetzt war und im Alter von 18 Jahren in Auschwitz vergast wurde…
Wer hat daran mitgearbeitet?
Mitgearbeitet haben außer uns beiden noch eine weitere Querfunk-Moderatorin und ein Moderator. Sie haben uns aus Gründen des Abwechslungsreichtums das Intro zu den Sendungen bzw. die Kurzbiografien der einzelnen Personen eingesprochen.
Wo kann man sich die Sendungen nochmal anhören?
Die sechs Sendungen aus dem vergangenen Jahr kann man sich unter mixcloud.com/Hoerstolpersteine anhören. Wir arbeiten momentan auch daran, diese und alle anderen Hörstolpersteine auf querfunk.de zum Nachhören anzubieten.
Und warum sollte man das auf jeden Fall auch tun?
„Fake-News“, Demokratiefeindlichkeit, ganze Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken abstempeln… Was lange Jahre auf der Müllhalde der Geschichte vor sich hin rottete, ist spätestens seit dem letzten Jahr wieder für alle sichtbar zu Tage getreten. Und zu was diese Unsitten im Extremfall führen können, hat man in der NS-Zeit gesehen. Jede Verfolgung, jeder Mord, jedes einzelne Schicksal hinter den Stolpersteinen liefert dafür leider den besten Beweis. In diesem Sinne: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ (George Santayana)
Vielen Dank für das Interview!
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Fotos: Stadtarchiv Karlsruhe.