Craig Judkins ist einer der vielseitigsten Charaktere in Karlsruhe. Als Chef des Commodore Room betreibt er einen Co-Working Space, der gleichzeitig als ziemlich krasse Home-Bar fungiert und wie eine Oase mitten im städtischen Grau wirkt. Seine Leidenschaft für Stil und gute Drinks prägen seine gesamte Erscheinung: Die graue Locke, die in seine Stirn fällt, die Massen an Haargel, die sie zu bändigen versuchen, der graumelierte Kapitänsbart und auch sein Sinn für Musik aus besseren Zeiten. Der Amerikaner ist außerdem erfolgreicher Party-Gastgeber: Mit dem Turtleneck Club organisiert er Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Wir haben den bekennenden Demokraten in einer nicht allzu vollen Bar getroffen und uns neben Spielautomaten bei Bier und Zigaretten unterhalten.
Frage: Was machst du als Amerikaner eigentlich in Karlsruhe?
Antwort: Nun ja, in den letzten 20 Jahren habe ich versucht, ein Leben zu leben, das Willie Nelson wohl als „ungestraft davonkommen“ bezeichnen würde. Das heißt ich versuche immer so zu leben, dass ich nicht das Gefühl habe, tatsächlich zu arbeiten, sondern eher ein großes Abenteuer zu erleben.
Als ich auf dem College war, nicht sofort aber nach ein, zwei Jahren, hab ich mich so richtig reingestürzt. Nicht nur ins Partyleben, sondern in wirklich alles. Gut, hauptsächlich waren das Partys, aber ich bin auch sehr viel durch die USA gereist, einfach zum Spaß. Natürlich immer in einem SUV, auf die amerikanische Art, mit drei anderen Typen oder so. Die Typen waren eigentlich immer dieselben, ab und zu war dann mal noch ein anderer dabei. Manchmal waren wir sogar nur zu zweit und sind von Pittsburgh oder so nach Maine an der kanadischen Grenze gefahren, oder wir haben ‘nen kleinen Abstecher nach Omaha gemacht, wo ich zur Schule gegangen bin, um was in Kansas City zu unternehmen. Wir sind dann in derselben Nacht noch drei Stunden zurück gefahren, um am nächsten Tag in die Vorlesung zu gehen – aber natürlich sind wir dann nicht hingegangen. Oder ich zumindest nicht.
Ich hab einen Abschluss gemacht, allerdings ein Jahr später als geplant. Mein Hauptproblem war, dass ich im Abschlussbericht für eines meiner Journalismus-Seminare betrogen hatte und total faul war. Ich wurde erwischt. Und ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich erwischt werden würde. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht hatte, aber wenn ich so zurück schaue war es zwar auf jeden Fall falsch, das zu tun, aber letzten Endes war es auch nur etwas, das eben so passiert ist, wie das Wetter. Alles, was in deinem Leben geschieht, bestimmt irgendwie dessen Richtung, aber damals war das unwichtig. Ich hätte vom College fliegen können, aber das ist nicht passiert. Ich meine, ich hab bei meinen Kommilitonen damit angegeben, betrogen zu haben, was für den Kerl, der mich erwischt hat, wohl am schlimmsten war. Er hätte mich leicht rausschmeißen können, aber ich hatte Glück. In meinem Zusatzjahr habe ich dann ein Mädchen getroffen und mich verliebt und bin nach San Diego gezogen. Dort war ich nur für ein Jahr, aber es war eines der besten Jahre meines Lebens. Ich kann das jetzt nicht erklären ohne diese Antwort noch viel länger zu machen. Ich sage nur so viel: Es ist passiert und es war großartig. Nach einem Jahr indem ich so richtig in den kalifornischen Vibe abgetaucht war musste ich dann die Reißleine ziehen und mich auf den Weg zurück nach Iowa machen.
Ich hatte gearbeitet, manchmal, aber egal wo ich war hatte ich keine Arbeit gefunden, für die ich auch wirklich bezahlt wurde, zweifelhafte Internetfirmen usw. Damals drehte sich alles um Aktien. Dachte ich jedenfalls, haha. Eigentlich war es mir egal. Unterm Strich verdiente ich nicht genug Geld für meinen Lebensunterhalt und musste gehen. Ich wusste immer, dass ich nach Kalifornien zurückgehen würde, das war nur eine Frage der Zeit. In Iowa versuchte ich, meinen kalifornischen Lifestyle weiter zu leben, so gut das eben ging, aber das wurde irgendwann komisch. Mir wurde klar, dass ich mich davon wieder trennen musste. Nach ein paar Teilzeit-Gigs und einem Vollzeit Job als Programmierer, und nach einem verrückten Garagen-Verkauf, der zu einer Party mutierte, bepackte ich mein Auto und fuhr nach Los Angeles. Das gleiche Mädchen, mit dem ich in San Diego zusammen war, machte dort eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Aber auch hier nahmen die Dinge nach einer gewissen Zeit einen seltsamen Lauf und ich musste versuchen, nen Polnischen zu machen wie man heutzutage sagt.
Eines Tages fragte mein Chef bei eToys eine Gruppe von uns, ob irgendeiner morgen nach London ziehen könne. Ich hob meine Hand. In Großbritannien angekommen machten wir wochenlang Party und schliefen an den Wochenenden. Dann, eines Tages, sah ich in unserem Büro beim Picadilly Circus ein Mädchen durch die Türe kommen, die gerade ihren Platz zugewiesen bekam – eine neue Angestellte. Ich folgte ihr neugierig durch den Raum. Irgendwo auf halbem Weg fand sie meinen Blick und schaute zurück. Wir verliebten uns in diesem Moment. Wenn du mir nicht glaubst kannst du sie fragen, ich bin mit ihr verheiratet. Zwei Wochen oder Monate oder so später zogen wir nach Karlsruhe, nachdem eToys den Bach runter ging, der ersten großen Internet-Implosion, und keiner geringen! Das war im Winter 2001, und seitdem bin ich hier, wenn man mal das eine Jahr in einem Londoner Büro abzieht, was ziemlich komisch war und genug eigene Geschichten hat.
F: Ich glaube die Leute merken, dass deine Partys das Beste der europäischen und amerikanischen Kultur verbinden. Ein durchschnittlicher europäischer Typ könnte nicht das tun was du tust, einfach weil wir Europäer oft nicht so riskant visionär denken.
A: Okay. Ich meine das kann unter Umständen schon stimmen. Es muss da draußen schon jemanden geben, der sowas wie ich auf die europäische Weise tut. Ich bin froh, sagen zu können, dass meine Visionen in meiner Kindheit verwurzelt sind. Ich bin ein sentimentaler Mensch, und alles was ich mache ist eine gefilterte Version von dem, was ich tatsächlich schon gesehen habe, oder irgendeine phantastische Version dessen.
F: Du willst also sagen, deine Partys sind retro oder vintage oder sowas?
A: Eher retro-sentimental.
F: Also nostalgisch?
A: Ohne Frage. Ich habe die Leute nie verstanden, die was gegen Nostalgie haben. Es interessiert mich nen Scheiß ob Leute in ihren Köpfen Regeln darüber aufstellen, was ist und was sein soll. Ich lebe in meiner eigenen Welt. Wirklich, das ist mir völlig egal.
F: Der Stil, den du geschaffen hast… Du nennst dich selbst „The Commodore”, das hat was seemännisches, aber du stehst auch für ein Revival der 60er?
A: Naja, mehr der frühen 80er. Aber du musst sehen, dass es in Iowa in den frühen 80ern viele Orte gab, die noch nicht weiterentwickelt hatten. Dort herrschten mehr oder weniger noch die 60er oder 70er. Ich bin mit meinem Vater immer in dunkle Kneipen gegangen, damals war das keine große Sache. Du konntest in Bars abhängen auch wenn du erst neun warst oder so. Die Welt war anders, und ich vermisse diese Welt. Vielleicht liegt das zum Teil daran, dass ich neben einem See aufgewachsen bin, im Sommer, und das Geld für die Drinks immer nass war vom Seewasser.
F: Ehrlichgesagt weiß ich grade nicht mehr, worüber wir reden…
A: Was ich versuche zu sagen, ist, dass manche Leute stolz auf sich sind, obwohl das schlicht Schicksal ist. Das ist kein Glück, das ist Schicksal. Diese Menschen sind heute alle tot.
F: Machen wir weiter. Der Turtleneck Club ist deine, sagen wir, erfolgreichste Party. Du hast diese Party schon an sehr vielen Orten gemacht, hier und da. Also die Leute da tragen Rollkragenpullis und trinken teure Drinks?
A: Also nicht wirklich teure Drinks. Ich meine, was ist teuer? Wir werden zwei Leute aus Berlin und London da haben, die diese Drinks zubereiten. Einfach aus dem Grund, dass die beiden weltklasse Barkeeper sind und menschlich auf meiner Wellenlänge, sie verstehen was ich tue. Eigentlich ist es ja absurd. Die Party bringt null Geld ein. Es geht nur um die Szene. Eine wunderbare, wunderbare Szene. Außerdem haben wir es uns alle verdient!
F: Die nächste Party steigt am 6. Feburar. In Deutschland feiern die Leute ja Faschingspartys. Was unterscheidet deine Turtleneck Party von irgendeiner anderen Mottoparty, bei der sich die Leute verkleiden?
A: Das ist was völlig anderes! Sven, von Nick&Nora in der Weststadt, hat zu mir gesagt „Die Leute feiern zu Fasching, und vielleicht ist das deshalb nicht gerade der beste Zeitpunkt für dich deine Party zu machen“ und so weiter. Sowas in der Art eben. Und ich habe gesagt das interessiert mich ‘nen Scheiß. Das ist mir egal. Die Leute, die verstehen, was ich mache, oder die zumindest ein paar Stunden in etwas neues, cooles investieren wollen, das sind meine Leute. Das einzige Argument, das ich bringen würde, wäre „Du warst auf Faschingspartys, du weißt was dich erwartet.“ Was ich biete, ist ein besonderer Abend. Ich will den Leuten Qualität bieten, und ein Erlebnis, das sie bis zu diesem Punkt noch nicht hatten.
F: Also können wir uns darauf einigen, dass man auf einer Faschingsparty die Kontrolle verliert, und sich vielleicht blamiert, aber beim Turtleneck Club dasselbe macht, nur mit Stil?
A: Ja, vielleicht. Ich meine, ich hatte schon immer den Gedanken, dass der Turtleneck Club eine Möglichkeit für Menschen ist, die auf Mode scheißen, so generell, die von manchen vielleicht als rebellisch gesehen werden, eine Möglichkeit, Mode auf ihre ganz eigene Weise zu zelebrieren, und trotzdem drauf zu scheißen, wie vorher, aber derweil mit authentischer Kreativität.
F: Also, die nächste Turtleneck Club Party, was wird da passieren?
A: Das weiß ich nicht. Wir haben einige Komponenten: Wir haben die ganze Nacht lang Musik von 7-Inch-Vinyl-Platten mit DJ Hank aus Freiburg. Wir haben Bartender zu Gast aus zwei europäischen Metropolen, die bereits Mitglieder im Turtleneck Club sind. Wir haben das sogenannte „Portrait Studio“, in dem unser Mann Sebastian Heck fotografieren wird. Das macht echt was her! Und wir trinken Hendrick’s, weil’s lecker schmeckt.
F: Du hast von Club-Mitgliedern gesprochen. Aber wenn man zum Club kommt und einen Rollkragenpulli trägt, ist man schon automatisch ein Mitglied, oder?
A: Mir ist alles egal, solange du einen klassischen Rollkragenpullover trägst.
F: Ich wollte nur klarstellen, dass jeder kommen kann. Richtig?
A: Ja. Es ist mir egal, wer du bist. Ich will nur, dass du dich so benimmst, als wäre das alles ganz normal.
F: Um vielleicht zu einem Ende zu kommen – wenn du Leute persönlich zum Turtleneck Club einladen könntest, was würdest du sagen?
A: Du meinst jetzt zur Öffentlichkeit?
F: Einfach wenn du zufällig jemanden triffst, was würdest du sagen?
A: Ich hatte mir überlegt, Flyer zu machen oder so, aber das erscheint mir doch etwas zu marktschreierisch. Ich müsste fast jemanden anheuern, der besser aussieht als ich, um die Zettel zu verteilen. Aber um ehrlich zu sein, es gab noch nie jemanden der’s bei uns scheiße fand. Aber man muss sich schon ein bisschen anstrengen. Wenn du auftauchst und dich benimmst wie ein Arschloch kommst du sowieso nicht rein. Aber wenn du Lust hast vorbeizuschauen, mit uns abzuhängen, dich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen und eine schöne Zeit zu verbringen, mit Stil, dann könnte das dein Ding sein. Oder sowas. Eigentlich ist es ja egal.
Für den Turtleneck Club am 6. Februar bittet Craig um eine kurze Meldung, wenn man kommen möchte. Alle Infos dazu unter diesem Link: RSVP
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