Könnt ihr etwas zur Entstehungsgeschichte sagen? Wie seid ihr von dieser Scharfschützenverkleidung, auf die ihr euch bezieht, bis zum Urban Camouflage gekommen?
Das Projekt Urban Camouflage entstand während unseres Auslandssemesters an der Konstfack Stockholm unter Betreuung des Künstlers Juan-Pedro Fabra. Aufgabe war es eine Tarnung im öffentlichen Raum zu entwickeln. Unser Ziel war es von Anfang an die Idee des „Ghillie Suits“ (Tarnanzüge der Scharfschützen) in den Alltag des kommerziellen Raumes zu leiten und weiterzuführen.
Wir wählten zunächst einen amerikanisch anmutenden Verbraucher-Großmarkt in Stockholm aus, der mit seiner übertriebenen Warenauswahl, den überall blinkenden Werbemonitoren und der überdimensionalen Größe der Verkaufsräume der perfekte Testort für unsere Anzüge zu sein schien. Leider konnten wir dort nur eine Performance durchführen, da wir innerhalb kürzester Zeit von dem Geschäftsführer des Ladens wegen Unverständnis und Illegalität verwiesen wurden. Daher wichen wir auf den danebenliegenden IKEA aus und entwickelten spezielle Tarnmethoden für das Möbelhaus und das Lager.
Warum will man sich im Supermarkt verstecken?
Der kommerzielle Raum bleibt üblicherweise von störenden künstlerischen Aktivitäten verschont. Während im öffentlichen Raum eine mal mehr mal weniger große Flut an unterschiedlichen grafischen, experimentellen, gewollten und ungewollten Dingen geschehen, ist der Kommerzraum steril und bildet eine eigene Welt für sich. Der Besucher taucht für kurze Zeit in das sorgenfreie Asyl der Marken und Preisschilder und erwartet auf diesem Trip keine Eingriffe von außen.
Unser Projekt hat diese Grenze testweise überschritten und ist auf unkonventionelle Art und Weise in eine andere Welt eingedrungen ohne vorher um Erlaubnis zu fragen und ohne finanzielles Interesse.
Die Anzüge sind von den „Ghillie Suits“, den Tarnanzügen von Scharfschützen im Krieg, abgekoppelt und wurden für kommerzielle „Schauplätze“ gemorpht. Diese komplexe Camouflageversion, die sich nicht nur farblich, sondern auch dreidimensional an die Umgebung anfügt, verdeckt nicht nur die Identität des Trägers sondern lässt auch vergessen, dass darunter überhaupt ein menschliches Individuum verborgen ist. Man muss sich vor Augen führen, dass speziell die IKEA Anzüge übermenschliche Ausmaße von ca 150 cm Durchmesser hatten, so dass vor dem Betrachter eher ein Übermensch als ein Mensch erschien.
Die Verbindung zu Krieg und Terror besteht natürlich. So wie auch Scharfschützen sich in Hecken tarnen, hat sich unser Schütze getarnt bis er es für wichtig hielt sich dem Publikum anzunähern. Ein komplett verhüllter „Mensch“ bringt den Betrachter aus dem Konzept und erzeugt ein ungutes Gefühl, dass sich meistens in verzweifeltem Kichern offenbart. Das bewegendste Gefühl für den Betrachter ist wohl, dass er nicht versteht, was das ist und was das soll. Man kann natürlich
interpretieren: dieser Mensch will sich und seine Identität tarnen, für einen Moment verschwinden und untertauchen vom Lärm des Kommerzes.
Aber die meisten Betrachter sahen von ihrem Sicherheitsabstand aus eher einen modernen Yeti als einen sich tarnenden Menschen vor sich.
War die Aktion mit der Leitung des Einrichtungshauses abgesprochen?
Nein, wir hatten uns dazu entschieden, dass Projekt nicht anzumelden und auf die Reaktion der Marktleitung zu warten. Aufgrund unserer Dreistigkeit wurden wir auch relativ schnell des Ortes verwiesen. Die Anzüge mussten wir teilweise dort anfertigen, teilweise in den Markt schmuggeln.
Wart ihr über den Erfolg des Camouflage überrascht, auf den Videos scheinen euch die Passanten ja tatsächlich zu ignorieren?
Das prägendste war wohl die Erkenntnis, dass man durch Verhüllung des Körpers und Gesichtes tatsächlich auch seine Identität verhüllt und vor äußeren Angriffen schützt. Beängstigend ist dabei, dass man nicht nur seine Skrupel und seine Scheu ablegt, sondern auch ein Stück weit seinen Charakter in kürzester Zeit verändert und im Moment der Tarnung auch ein wenig vergisst, wer man überhaupt ist. Dies brachte uns vor Augen, wie getarnte Soldaten (und evtl Uniformierte generell) in kritischen Situationen wohl auch ihre Identität ablegen und wie ferngesteuert arbeiten, also ihre Menschlichkeit verlieren.
Interessant war es auch zu sehen, wie das unvorbereitete Publikum auf eine solche Situation reagiert. So gab es Neugierige, die sich sofort auf das Material stürzten und versuchten einen Menschen darin ausfindig zu machen. Andere betrachteten die Situation mit Sicherheitsabstand und reagierten mal mehr, mal weniger amüsiert, aber immer verwirrt. Viele erschraken auch und entfernten sich so schnell es geht aus dem Blickfeld. Es gibt aber auch eine andere Art des Betrachters, unserer Meinung nach die interessanteste: Diese Gruppe von Menschen ignorierte einfach was neben ihnen passierte. Wir sind uns sicher, dass die Tarnung nicht so gut gewesen sein konnte, dass diese Menschen, sie gar nicht wahrnahmen. Vielmehr handelt es sich hierbei wohl um Menschen, die einfach nicht etwas sehen wollen, was sie nicht steuern können bzw. nicht geplant haben. Wenn man in einem Supermarkt seine Einkäufe erledigt, dann WILL man einfach nicht mit etwas konfrontiert werden, was das eigene Vorstellungsvermögen und Verständnis überfordert. Besonders gut konnte man dies auf dem Filmmaterial beobachten, wenn Passanten ohne mit der Wimper zu zucken durch das Bild laufen.
Habt ihr noch weitere Pläne, wollt ihr das Projekt ausweiten und in anderen urbanen Bereichen austesten?
Das Thema Tarnung im weitesten Sinn ist ein spannendes Gebiet, das sich immer wieder in unserer Arbeit blicken lässt und das wir bei weitem noch nicht ausgeschöpft haben. Daher wird es sehr sicher noch einige Aktionen in dieser Richtung geben.
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Das Konzept:
Urban Camouflage ist die Einswerdung mit dem Supermarkt. Das Projekt greift die fortschleichende Militarisierung der Zivilgesellschaft, auch und vor allem in der Bekleidungsindustrie auf und dreht sie gegen ihren Wirt, den globalisierten Hypersupermarkt. Dazu verkleiden sich die beiden mit Utensilien aus dem Einkaufsparadies, ähnlich wie es Scharfschützen machen, und verstecken sich anschließend so getarnt in eben jener Kaufhalle.
URBAN CAMOUFLAGE #1
URBAN CAMOUFLAGE #2
URBAN CAMOUFLAGE #3
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