Erstmals bin ich Jahr 2018, im Rahmen eines vom Karlsruher Cyberforum e.V. initiierten Ideenwettbewerbs, auf das Projekt aufmerksam gemacht geworden. In dieser Zeit durften wir ein Filmportrait über das Gründerteam hinter “ato.black” (ehemalig “ATO”) produzieren und bekamen daher in einer recht frühen Phase einen guten Einblick in das damals noch sehr junge Projekt.
Anlässlich ihrer anstehenden Ausstellung “5 Künstlerinnen – 3 Städte” zum Weltfrauentag am 07.03./08.03.2020 entschied ich mich dazu, bei den Gründer*innen ein Interview anzufragen, um herauszufinden wie es aktuell um das Projekt “ato.black” bestellt ist. Insbesondere interessierte mich mit welchen Herausforderungen sie in der Anfangsphase zu kämpfen hatten und wie sie zum Gründer- und Kunststandort Karlsruhe stehen. Außerdem wollte ich herausfinden was sie mit einer Fördersumme über eine Millionen Euro für die Karlsruher Kunst- und Kulturszene anfangen würden.
Die Interview-Antworten gaben mir die inhaltliche Leiterin Norina Quinte und der technische Leiter Adam Gawel.
ato.black – Kunst erleben, Kunst online kaufen
Wer seid ihr und was macht ihr?
Norina : Wir sind “ato.black”. Unser Hauptanliegen ist es, ein neues und zeitgemäßes System zu entwickeln, das KünstlerInnen und Kreativschaffende zu fairen Konditionen vertritt. Wir wollen insbesondere darauf achten, dass alle Inhalte verständlich sind und einen einfachen Zugang ermöglichen. Im Endeffekt eine Mischform aus Galerie, Onlineplattform (Verkauf und Information) und Agentur. “ato.black” bietet die Möglichkeit KünstlerInnen kennenzulernen und Kunst zu kaufen. Auch offline tauchen wir langfristig überall mal auf.
Welches Team steht hinter ato.black?
Norina : Die Crew von ato.black besteht zur Zeit aus 12 Personen aus unterschiedlichsten Disziplinen und Fachrichtungen; IT, Marketing, Management, Kunstwissenschaften, Ausstellungsdesign, Fotografie, Film, Veranstaltungsorganisation … Hauptverantwortlich sind Hannah Klein in Berlin (Strategie und Finanzen), Andreas Hölldorfer (Technische Leitung von Ausstellungen), Adam Gawel (Technische Leitung Entwicklung, also z.B. Programmierung der Homepage) und ich, Norina Quinte (Konzeption von ato.black und Leitung der Inhalte). Da wir sowohl untereinander wie auch mit den KünstlerInnen immer im Dialog sind und gemeinsam arbeiten oder kuratieren, gehören natürlich auch die KünstlerInnen zum Team.
Wann und warum habt ihr ato.black gestartet?
Norina : Darüber ausgetauscht, dass ja eigentlich etwas passieren muss, in diesem Kunstsystem, haben wir uns bereits vor knapp drei Jahren. Jede(r) von uns hatte beruflich unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und eigene Beweggründe, etwas verändern zu wollen, eingebracht.
Andreas z.B. lernte die Kreativszene kennen, als er Mitglied bei „die Anstoß e.V.“ wurde, ein Kulturverein in Karlsruhe, den ich 2014 mit diversen anderen AkteurInnen gegründet hatte. Hier fiel ihm auf, dass es für KünstlerInnen sehr schwer ist, die eigenen Arbeiten bei Ausstellungen auch verkaufen zu können, insbesondere wenn sie an „unüblichen“ Orten ausgestellt sind. Gleichzeitig war das Thema immer präsent, dass der Kunstmarkt für Leute, die bisher keine Berührungspunkte hatten, so elitär und wenig einladend wirkt. Ein Aspekt, den ich auch über die Jahre immer wieder beobachtet habe und durchaus kritisiere. Ich denke, dass es zum Teil an der Art der Vermittlung liegt: oft werden Texte veröffentlicht, die nicht wirklich verständlich sind – keine Brücke zwischen Werk/KünstlerIn und Betrachter bilden. Keine(r) traut sich aber nachzufragen was genau da steht, die Einen nicht, weil sie das Gefühl haben nicht dazuzugehören, die Anderen nicht, weil sie Teil der Kunstwelt sind und Angst haben uninformiert rüberzukommen. Hannah hatte weltweit Messe-Erfahrungen gesammelt, war Assistentin eines Künstlers und hat Gefallen an der Kunst gefunden, nicht aber unbedingt an der Welt die sie umgibt. So in etwa kam es dazu, dass wir beschlossen haben etwas zu ändern.
Es mag für manche(n) utopisch sein was wir da versuchen – ist ja vielleicht auch eine ‘David gegen Goliath Unternehmung’ – aber wenn man nur zusieht, dann gibt es irgendwann (fast) keine Galerien mehr, da das Überleben (finanziell) nicht möglich ist oder ausschließlich Online-Plattformen, ohne Kunsterlebnis.
Für welche Werte möchtet ihr mit ato.black einstehen? Gibt es so etwas wie eine Leitvision der ihr euch im Kollektiv verschrieben habt?
Norina : Ato.black möchte jeder Person, die darauf Lust hat, Zugang zur Kunst ermöglichen. Wir möchten, dass KünstlerInnen unterstützt werden eigeninitiativ auszustellen und dabei bürokratisch und marketing-technisch den Rücken gestärkt bekommen. Wir möchten, dass Kunst weiterhin im realen Leben entdeckt werden kann. Wir möchten, dass KünstlerInnen mehr Geld verdienen, z.B. indem auch kleinere Beträge als Unterstützung überwiesen werden können (Atofakte). Wir arbeiten ausschließlich mit Menschen zusammen, die sich gegen eine Ellenbogen-Gesellschaft aussprechen. Der sogenannte Kosmos von ato.black soll Menschen durch Kunst vernetzen und zusammenbringen – keine Angst vor dem Teilen. Wir möchten die Personen hinter der Kunst vorstellen, um darauf aufmerksam zu machen, wie wertvoll und essentiell die einzelnen Beiträge für unsere Gesellschaft sind. Uns geht es darum, dass KünstlerInnen auch unabhängig von ihrem Marktwert eine Plattform bekommen.
Was waren im Zuge der Gründung die größten Hindernisse und Herausforderungen die ihr überwinden musstet?
Norina: Gute Frage. Es geht ja wirklich schon eine Weile. Auch das Kernteam musste sich erstmal richtig finden. Das aufregendste ist in jedem Fall, dass man die Sache wirklich durchzieht und irgendwann den Absprung von theoretischen Überlegungen hinein in die Praxis schafft. Etwas zu gründen was eine gewisse Systemänderung einfordert ist absolut aufregend. Dann trafen wir die letzten Jahre auch auf viele BeraterInnen aus der Wirtschaft… Denen zu erklären, dass Kunst nicht wie ein paar Turnschuhe zu kalkulieren ist, das war anstrengend.
Welche Tipps könnt ihr Gründern/innen in Karlsruhe geben?
Norina : Dranbleiben.
Wie organisiert ihr euch und mit welchen Tools und Apps arbeitet ihr zusammen?
Adam: Wir sind ja zum Teil in verschiedenen Städten, Lorena unsere Grafikerin sitzt in London, Hannah in Berlin, Lisa und Martin in Stuttgart… Klar treffen wir uns alle paar Wochen zum Arbeiten in Berlin oder Karlsruhe, das heißt aber trotzdem zu großen Teilen online kommunizieren: „Oldschool“ mit Telegram, Skype, Telefon. Als Projektmanagementtool nutzen wir Asana, unsere gesamte Homepage (Front- und Backend) ist selbstentwickelt.
Würdet ihr Karlsruhe als Gründungsstandort weiterempfehlen?
Norina: Das gute an Karlsruhe ist, wenn man einen langen Atem hat, wird man irgendwann gehört. Dennoch kritisiere ich, aber das ist wohl ein allgemeiner Trend und ortsunabhängig, dass zur Zeit hauptsächlich in technologische Innovationen investiert wird statt in inhaltliche Innovation. Das ist schade. Grundsätzlich habe ich aber, was die Unterstützung der Stadt bezgl. Räumlichkeiten angeht, nur gute Erfahrungen gemacht.
Wie würdet ihr den derzeitigen Zustand der Karlsruher Kunstszene beschreiben?
Norina: ich bin jetzt seit 2011 in der Stadt. Als ich am Anfang von Berlin nach Karlsruhe zog, dachte ich nicht, dass ich 2020 noch hier bin. Es hat sich vor allem in der freien Szene einiges getan in den letzten Jahren. Es gibt viele Kollektive, Vereine und spannende Projekte. Was die Galerienlandschaft angeht, also die berufliche Perspektive der Kunstszene, da wäre es schön wenn sich noch mehr Menschen finden, die den Mut haben etwas zu gründen.
Adam: Es gibt außer dem Vorzeige-Ort ZKM wirklich wenig Medienkunst, dafür dass Karlsruhe als Stadt der Medienkunst gehandelt wird. Es sollten noch mehr Räume und Möglichkeiten zum Experimentieren geschaffen werden.
Wenn ihr 1 Millionen Euro zur Verfügung hättet um die Karlsruher Kunst- und Kulturszene zu fördern: was würdet ihr damit anfangen?
Norina : Wir würden den gesamten öffentlichen Raum mit Kunst füllen und KünstlerInnen dafür fair entlohnen. Nicht nur Materialkosten übernehmen, wie sonst üblich, sondern den Wert der Ideen anerkennen. Eine Million würde sicher auch ausreichen, um ein paar Räume zu mieten, in denen sich KünstlerInnen ohne wirtschaftliche Abhängigkeit austoben können.
Adam: Da habe ich zwei Optionen… Option A: Off-Spaces fördern, mit Geld, mit Materialien, mit Räumen. Option B: Das Geld in Bitcoins investieren, ein Jahr später auszahlen lassen, dann A mit noch mehr Geld umsetzen 🙂
Was würdet ihr euch generell für Karlsruhe wünschen?
Norina: Karlsruhe sollte sich bei seinem warmen Klima dahingehend entwickeln, dass auch zu späterer Abendstunde der öffentliche Raum belebt wird. Wieso geht das in anderen südlichen Regionen, dass Menschen einfach ihren Tisch auf den Bordstein stellen und miteinander kommunizieren, nicht aber in Karlsruhe? Und natürlich mehr Geld für Kunst und Kultur.
Am 07.03.2020 und am 08.03.2020 habt ihr anlässlich des Weltfrauentags eine Ausstellung in drei Städten (Karlsruhe, London und Berlin) gleichzeitig geplant. Welches Konzept steckt hinter diesem Projekt?
Norina : Die Homepage, quasi das „Mutterschiff“ von ato.black, wird ja in den kommenden Monaten um viele KünstlerInnen und Kunstwerke ergänzt. Wir finden diese fünf Künstlerinnen beeindruckend und sie wären so oder so Teil von ato.black geworden. Da es aber in der Kunst – wie auch in so vielen anderen Bereichen – definitiv noch Nachholbedarf gibt was Geschlechtergleichheit betrifft, fanden wir es schlüssig alle fünf Künstlerinnen gleichzeitig zu diesem Wochenende auszustellen. Es kann als Hinweis verstanden werden, kein erhobener Zeigefinger, vielmehr eine Erinnerung daran, dass es doch tatsächlich noch auffällt wenn alle ausgestellten KünstlerInnen weiblich sind. Bei einer Männergruppe würde das den meisten eher normal vorkommen…Für die Zukunft ist es uns wichtig, klarzustellen, dass wir auf Inhalte und Persönlichkeit achten, nicht auf das Geschlecht.
Bitte gebt einen kleinen Ausblick auf kommende Projekte. Was wird 2020 online und offline bei ato.black passieren?
Norina : Es ist schön für uns zu merken, dass sowohl die Crew (ProduzentInnen von Inhalten und co.) wie auch der KünstlerInnen-Pool wächst. Es ist im Moment sogar so, dass wir nicht so schnell hinterherkommen mit dem Aufnehmen ins ato.black Archiv wie wir gerne möchten, da es bereits jetzt wirklich viele Anfragen gibt. Wir haben ja alle noch unsere Money-Jobs, insofern zählt die Einstellung „Step by Step“. In den nächsten Monaten kommen einige interessante KünstlerInnen dazu, die Seite füllt sich Stück für Stück und entwickelt sich immer weiter.Über die Sommermonate wird es einzelne kleine Ausstellungen und Aktionen geben. Im November gibt es eine große Ausstellung mit allen KünstlerInnen, die bis dahin im Archiv von ato.black vertreten sind. Sie trägt den Titel „Was heißt morgen?“. Wir freuen uns schon sehr darauf.
Wo soll ato.black in fünf Jahren stehen? Was würdet ihr euch wünschen?
Norina : Toll wäre, wenn wir es bis dahin schaffen, alle beteiligten Personen angemessen für ihre Arbeit zu entlohnen. Wir würden uns wünschen, dass sich Menschen an der Vision von ato.black beteiligen, z.B. indem sie die KünstlerInnen unterstützen, selbst wenn kein direkter Kunstkauf passiert. Dafür haben wir die Rubrik der „Atofakte“ eingeführt: Ab einem Wert von 50 Euro kann man von jeder/jedem KünstlerIn ein Objekt erwerben. Wenn sich dieses Prinzip etabliert, könnte eine große Menschenmenge mit kleinen Beiträgen viel bewirken. Idealerweise sind wir in fünf Jahren in ganz vielen Städten mit KünstlerInnen vertreten, sodass die Menschen bei der nächsten anstehenden Reise erstmal auf www.ato.black nachsehen, ob dort nicht ein Kunstwerk ausgestellt ist oder jemand vielleicht gerade eine Aktion macht!
Es folgen ein paar Fotos von vergangenen ato.black Veranstaltungen:
Fotos: Sebastian Heck