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30 Jahre Tollhaus, Jubiläums-Zeltival! Die Kavantgar.de-Redaktion hat eine Auswahl der Konzerte besucht und gibt einen kleinen Rückblick auf das Erlebte. Soviel vorweg: Wir müssen dem Tollhaus ein Kompliment aussprechen!

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30 Jahre Tollhaus hieß es in diesem Jahr – es wurde also Zeit für ein Jubiläums-Zeltival. Jährlich bereichert die Veranstaltungsreihe unter dem Zeltdach die Karlsruher Kulturlandschaft, in diesem Jahr sollte es ein besonderes Zeltival werden. Über 21.000 Gäste besuchten das Zeltival 2014 – Rekord! Die 28 Shows waren nicht nur stets gut besucht, sondern unterlagen einer ganz besonderen Stimmung. Zum 30-jährigen Jubiläum hatten die Veranstalter vom Tollhaus Internationale Top-Künstler geladen, wie z.B. Tri Yann, Emiliana Torrini, Fink, The Cat Empire oder auch Gregory Porter. Weitere nationale Größen, wie The Notwist, Get Well Soon, Maxim oder Käptn Peng und die Tentakel von Delphi rundeten das Line-Up des einmonatigen Festivals ab. Die Kavantgar.de-Redaktion hat eine Auswahl von Konzerten besucht und gibt einen kleinen Rückblick auf das Erlebte.

Eivør Pálsdóttir

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Die Färöer Inseln liegen irgendwo im Nirgendwo, im kalten Meer zwischen Island und Norwegen. Die Verwurzelung mit dieser abgeschiedenen und gleichzeitig wunderschönen Insel diente von Beginn an als musikalische Inspirationsquelle für die Sängerin, Musikerin und Songwriterin Eivør Pálsdóttir. Sie schafft es, diesen entfernten und nicht greifbaren Ort zu vertonen. Dabei reicht ihr Repertoire von Jazz über Folk, Ethnopop bis Trip-Hop, grenzt auch an Klassik und Kirchenmusik. Der Gesang wirkt nahezu elfengleich. Pálsdóttir hat ihre Stimme perfekt im Griff, was teilweise schon opernhaft daher kommt, bewahrt aber immer die Direktheit eines Lagerfeuerkonzerts. Die Arrangements sind angenehm zurückgenommen und greifen wunderbar ineinander. Eine Gitarre und ein simpler Basslauf genügen als Grundlage für die einzigartige Stimme, die sich so entfalten kann. Intensive und authentische Momente schafft Pálsdóttir mithilfe ihrer nordischen Schamanen-Trommel und färöischem Gesang. Der Zuschauer wird mitgenommen auf eine imaginäre Reise durch karge Küstenlandschaften. Der Hall auf der Stimme klingt als würde der Gesang von den Klippen widerklingen. Dabei zeigt Eivør, dass sie keine Angst davor hat ihre Emotionen zu exponieren und verfällt nicht in bloße „Schönsingerei“.
(Konstantin Maier)

Ry X

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Kerzen erleuchten die Bühne und das Gesicht von Ry X. Draußen prasselt der Regen gegen die Zeltwand, Paare liegen sich in den Armen und lauschen dem fragilen Falsettgesang. Seit geraumer Zeit sorgt Ry X mit seinem Projekt „The Acid“ für Furore. Die Szene feiert „Luminal“ bereits als Album des Jahres ab. Ry Cuming, so heißt der Sänger mit bürgerlichem Namen, lebte jahrelang in Berlin und wohnt mittlerweile in Los Angeles. Als Ry auf den deutschen House-Frickler Frank Wiedemann von Âme trifft, produzieren sie gemeinsam den Club-Welthit „Howling“. Als die ersten Chords des Songs erklingen, kommt die erste spürbare Verzückung auf, die sich sofort, trotz Bestuhlung, in Tanzlaune wandelt. „Shortline“ klingt wie Neunziger-Jahre-Grunge in Zeitlupe. Unheimlich intensiv und irgendwie zerstört kommt es daher, wenn Ry die Gitarre in schiefe Lagen kippt. „Berlin“ ist nicht nur wegen der ollen Sony-Werbung ein grandioser Song. Klar gibt es meist einen tanzbaren Beat unter dem Songgerüst, der mehr Herzklopfen ist als Discostampfer, aber die besten Momente hat er alleine mit Stimme und Gitarre. Dafür braucht er keine fancy Videos oder eine Lasershow. Ry X scheint aktuell den internationalen Zeitgeist zu treffen wie kein Zweiter. Er zeigt sich als Vertreter einer Generation der „Neuen Empfindsamkeit“: Komplexe Songstrukturen werden hier gepaart mit Techno-Ambitionen und einer eindringlich emotionalen Haltung in der Stimme. Da steht ein Mann auf der Bühne, der genau weiß was er macht.
(Konstantin Maier)

The Notwist

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Diese Band ist wirklich ein Ausnahmephänomen in der deutschen Musiklandschaft. Die Soundtüflter flüchten regelmäßig nach Weilheim in Oberbayern, um sich dort in ihrer Frickelei, Soundtüftelei und Songgeschreibe zu verlieren, bevor sie der grellen Sonne entgegenblinzelnd die Bühnen betreten und die Zuschauer mit komplexen Popgebilden gegen die Wand spielen. Die großen Entertainer waren sie ja noch nie, und doch sieht man ihnen den Gebrüdern Markus und Micha Acher trotzdem gern zu, weil sie sich in ihrem eigenen Klangkosmos verlieren, ihre Songs in den Beinen spüren, die schrägen Töne ihnen verzerrte Gesichter zaubern. Wer The Notwist zuhört, weiß dass er es mit absoluten Fachmännern zu tun hat. Jeder Ton ist richtig dosiert und platziert, der Gesamtsound ist rund und ausgewogen wie ein schöner Rotwein. Die Qualität der Band besteht zum einen in den hymnischen Pophits wie dem atemberaubenden Indiehit „Neon golden“, die so simpel scheinen und doch jeder davon ein Weltgeheimnis in sich birgt. Zum anderen zeigt sich das ganze Meisterschülertum der Band, wenn sie Songs wie „This room“ mit einer brachialen Gitarrenwut dekonstruieren, Rückkopplungen einstreuen, das perfekte Konstrukt aufbrechen lassen, damit sich so tief blicken lässt, dass es einem schwindlig wird. Eine Band für die Ewigkeit, die sich niemals neu erfindet, aber immer weiter entwickelt.
(Konstantin Maier)

Get Well Soon

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Als Get Well Soon macht Konstantin Gropper Popmusik, die keinen geografischen Standort verrät und auch keinen benötigt. Betrachtet man die Einflüsse und auch die Zitate, die in Get Well Soons Stücken auftauchen, bietet sich ein weites Feld an Referenzen. Get Well Soon bringen Folk, Klassik, Pop und sparsam eingestreute Lo-Fi-Momente zusammen und zaubern eine melancholisch-schöne Stimmung, die sich auch in kitschige Gefilde traut. Von bösem, also nutzlosem und überkandideltem Kitsch, von rein dekorativem Charakter nehmen Get Well Soon allerdings Abstand, denn glatt und berechnend anrührend klingen die Songs in keinem Moment. Das Konzert startet, angelehnt an den Aufbau einer Symphonie. Und Get Well Soon, live mit siebenköpfigen Line-up, setzten mit Vorliebe auf orchestrale Instrumentierung: Streicher und Bläser und Schlaginstrumente gesellen sich da zu rhythmisch eingesetzten Background-Stimmen, Chören, Handclaps, feinen Gitarren-Melodien und Konstantin Groppers Gesang, der mal nach dem opulenten Selbstbewusstsein eines Neil Hannon von The Divine Comedy klingt und mal nach dem zerbrechlichen Wankelmut eines Conor Oberst von Bright Eyes.
(Konstantin Maier)

Käptn Peng und die Tentakel von Delphi

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Mit selbstgebastelteten Fuchsmasken und Musikinstrumenten entert die Indie-Hip-Hip-Kombo die Bühne, das Konzert ist mehr als voll und die Menge feiert Pengs erste Reime bereits frenetisch. Spätestens seit dem Hype um das 2013er Album “Expedition ins O” gehört die Kombo um die Gerüder Robert und Johannes Gwisdek (Käptn Peng und Shaban) zur deutschen Sprechgesang-Elite. Mit Tracks wie “Der Anfang ist nah” und “Omega Peng” bringt die Fünfertruppe das Publikum zum Ausflippen, zwischendurch streut Peng den ein oder anderen Freestyle ein. Bei “Sockosophie” fliegen zig Strumpfpaare aus der Menge auf die Bühne, als Peng mit einer Handsocke den Sinn des Lebens diskutiert. Wenn Shaban dann im Frauenkleid auf die Bühne kommt und gemeinsam mit seinem Bruder den Hit “Er mag sie”, welches die beiden noch unter dem Namen “Shaban & Käptn Peng” aufgenommen hatten, ist alles zu spät: “Fuchs sein fetzt doch”, schreit die Menge. Zwei Zugaben spielt die Truppe ehe sie sich endgültig verabschiedet und die Menge durchgefeiert und verschwitzt nach Hause geht. Später traf man Shaban noch im Hof des Tollhaus bei einem Bier. Ein absolut gelungender Konzertabend!
(Pascal Bremmer)

Kavantgar.de muss dem Tollhaus ein Kompliment aussprechen: Das Zeltival 2014 war eine Wucht, die Künstlerauswahl war großartig und es gab fast täglich ein tolles Konzert zu besuchen. Wir freuen uns auf weitere 30 Jahre mit dem Tollhaus!

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